Profs for deutsche Staatsräson
Zum rechten Skandal um das Statement der „profs against antisemitism“ und warum der Kampf gegen Antisemitismus und für Frieden in Palästina zusammenhängen
29. Juli 2024
Veröffentlicht am 2. Juli 2024 und initiiert von Berliner FU-Professor Stefan Liebig, will das Statement der „Profs against Antisemitism“ die akademische Elite zu einem Zeichen gegen Antisemitismus vereinen – oder?
Der Brief gibt an „[a]us aktuellem Anlass“ auf den „Judenhass an unseren Einrichtungen“ zu reagieren. Konkreter benannt werden „antisemitische Ausgrenzung, das Verwenden von Terror-Symbolen, die Infragestellung des Existenzrecht Israels, jegliche Form von Gewalt und Verwüstungen in Universitätsgebäuden“, außerdem der Aufruf zum Boykott israelischer Universitäten und Forschenden.
Aus der Frankfurt UAS und Goethe-Universität unterzeichneten 30 Universitätsangehörige (Stand 11.07.) und aus Frankfurt insgesamt 35. Von der Goethe-Universität sind unter den Erstunterzeichnenden die mittlerweile emeritierte Ethnologin Susanne Schröter, der Wirtschaftssoziologie Alexander Ebner und die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen. Auch hat der Frankfurter Politikwissenschaftler Andreas Nölke unterschrieben, der politisch erstmal wenig mit Schröter und Ebner zu tun zu haben scheint. Zwischenzeitlich haben jedoch einige Unterzeichnende, darunter auch von der Goethe-Universität, ihre Unterschrift wieder zurückgezogen.
Der Grund hierfür liegt in dem politisch äußerst fragwürdigen Zustandekommen des Briefes. Denn kurz nach Veröffentlichung des Statements stellte sich heraus, dass die Initiative für diesen Brief auf einen Post auf X von Malca Goldstein-Wolf zurückgeht, in welchem sie den „lieben Professoren“ eine Vorlage für einen Offenen Brief verfasste. Das nun Anfang Juli veröffentlichte Statement hat Passagen dieses Posts wortgleich übernommen. Goldstein-Wolf ist Autorin des rechten Blogs von Henryk M. Broder Achse des Guten, äußert auf ihrem X-Account Verständnis für Reichsbürger und die AfD, und übernimmt deren Stichworte, wenn sie behauptet, es finde „in ganz Europa ein islamistischer Tsunami“ statt. Dies schien für Stefan Liebig kein Hindernisgrund zu sein. Liebig selbst repostet regelmäßig Propaganda der israelischen Streitkräfte (IDF), repostet Trumpisten, verbreitet das rassistische Narrativ von islamischen „Barbaren“ und verbreitet genozidale Phantastereien, auf welchen Gaza dem Erdboden gleichgemacht und mit israelischer Flagge dargestellt ist.
Es ist nun nicht verwunderlich, welcher professorale Kreis für dieses Unterfangen gewonnen werden konnte. Das Angehörige der Goethe-Universität wie Schröter und Ebner unterzeichnet haben, ist so keine Überraschung. Sie gehören dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit an, Susanne Schröter hat keine Berührungsängste mit der politischen Rechten und lud z.B. Goldstein-Wolf auf das Podium einer „Antisemitismus-Tagung“ ihres hauseigenen Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI), im Dezember letzten Jahres nach Frankfurt ein. Deren Teilnahme war dann sogar dem Hardliner Volker Beck zu viel und er sagte kurzfristig seine Teilnahme an dem gemeinsamen Abschlusspodium ab und kritisierte Schröter öffentlich auf X.
Dass Susanne Schröter nicht nur in ihrer eigenen akademischen Arbeit, sondern besonders durch die von ihr initiierten Netzwerke, Tagungen etc. eine rechte Diskursverschiebung anstrebt und dabei rassistische Eklats wie von einem Boris Palmer oder einer Alice Schwarzer gerade in dieser Agenda passieren – oder rechte Hetzer wie Constantin Schreiber, Hamed Abdel-Samad mit wissenschaftlichen Lorbeeren immunisiert werden sollen, wurde mittlerweile von vielen Seiten herausgearbeitet, darunter in der letzten Schwerpunktausgabe der Studis-Zeitung Stoersaal. Besonders pikant ist, dass hier antimuslimische Ressentiments und gar offener Rassismus nicht selten einhergehen mit geschichtsrevisionistischen Positionen. So beklagte Hamad Abdel-Samad in einer Veranstaltung mit Schröter den deutschen „Schuldkult“, welcher sich u.A. in der Beschäftigung mit der eigenen Kolonialvergangenheit äußere. Er behauptet auch, dass Deutschland niemals eine Demokratie erlebt hätte, wenn Hitler nicht davor an der Macht gewesen wäre. Auch Boris Palmers holocaustrelativierenden Aussagen, in denen er Kritik an seiner Person mit der Verfolgung von jüdischen Menschen während des NS gleichsetzte, werden bis heute von dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit in Schutz genommen.
Schon Namen wie den von Susanne Schröter unter den Erstunterzeichnenden zu entdecken, sollte Fragen über die politische Intention eines Statements aufwerfen, welches vorgibt sich gegen Rassismus zu richten. Darüber hinaus ist unter den Unterzeichnenden fast das gesamte Netzwerk Wissenschaftsfreiheit vertreten, dessen fehlende Distanz zur Neuen Rechten Anfang des Jahres wiederholt Thema war. So hat es das Netzwerk seit Anfang des Jahres nicht geschafft sich von dem Juristen und Netzwerk-Mitglied Ulrich Vosgerau zu distanzieren, welcher am Potsdamer Geheimtreffen teilnahm. Auch abgesehen von diesem Skandal ist das Netzwerk nicht nur in skurriler Übermäßigkeit das persönliche Verteidigungsnetzwerk von Schröter – man zähle die Veröffentlichungen, in denen es um Schröter geht – es verteidigte auch den ehemaligen BfV-Präsidenten Hans-Georg Maßen, dem wegen rechtsradikaler Äußerungen die Zusammenarbeit mit dem Beck-Verlag beendet wurde, gegen „aktivistisch diktierte Bedingungen“, welche in die Wissenschaftsfreiheit eingreifen würden. Das Netzwerk bedient insgesamt hauptsächlich Themen der politischen Rechten wie Migration, Gendern und diffamiert Kritik an den Positionen ihrer Mitglieder schnell als „Cancel Culture“.
Ohne hier weiter in die Tiefe gehen zu können, soll nur darauf hingewiesen werden, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Unterzeichnenden aus den Teilen bundesdeutscher Akademie kommen, die eng mit deutschen Sicherheits- und Verteidigungsapparaten verbunden sind (z.B. Carlo Masala, Burkhard Meißner). Nicht selten vertraten diese auch immer wieder offen geschichtsrevisionistische Positionen (darunter Jörg Baberowksi und Erstunterzeichnender Sönke Neitzel).
Sicher, kann nun eingewandt werden, sind bei mehreren Tausenden Unterschriften auch einige dabei, deren politische Intentionen nicht unproblematisch sind – das schmälert aber doch nicht das legitime Ansinnen des Statements gegen Antisemitismus? Doch nicht nur der Umstand, dass das Statement initial aus einem rechtsliberalen bis rechtskonservativen Kreis stammt, welches kaum Berührungsängste mit der AfD hat, sollte diejenigen, die sich gegen Antisemitismus aus einer antifaschistischen Grundhaltung heraus einsetzen wollen, dazu bewegen, schnell wieder Abstand zu nehmen. Auch die inhaltliche Agenda, die mit dem Statement verfolgt wird, führt direkt ins rechte Fahrwasser einer kriegstreiberischen neuen deutschen Staatsräson. Kampf gegen Antisemitismus? Nein, es geht hier um etwas anderes. Es geht eigentlich darum zu sagen, „warum Israels Reaktion auf den Hamas-Angriff angemessen ist“ – so Erstunterzeichner Matthias Oppermann – also die Narrative der politischen Rechten und der radikalen „Freunde Israels“ zu stützen. Mit der Diffamierung der Kritik am laufenden Genozid gegen die palästinensische Bevölkerung soll das Existenzrecht der PalästinenserInnen zum Antisemitismus-Verdachtsfall werden.
Und so entlarvt sich der Umgang mit Antisemitismus schnell als instrumentalistisch, relativierend und bewirkt damit genau das Gegenteil von dem, was er vorgibt: nämlich den Kampf gegen Judenfeindschaft zu behindern. Als konkrete Beispiele für den angeblichen „Judenhass“ in den deutschen Hochschulen und Universitäten werden die Infragestellung des Existenzrecht Israels, nicht näher spezifiziertes „Verwenden von Terror-Symbolen“ und „Gewalt und Verwüstung in Universitätsgebäuden“ genannt. Vermutlich wird hier auf die Uni-Besetzungen in Berlin angespielt und suggeriert, dass sich diese gegen jüdische Angehörige der Universität richten würden. Das ist eine falsche und bewusste Verdrehung der Tatsachen, für die es keinerlei Belege gibt. Das ist gefährlich und schadet dem Kampf gegen Antisemitismus, weil erstens Antisemitismus relativiert wird und zweitens Ängste unter jüdischen Universitätsangehörigen geschürt werden. Dieser Vorwurf in Kombination damit, dass bisher keine Universität sich gegen den Genozid ausgesprochen hat, fördern antimuslimischen, antiarabischen und antipalästinensischen Hass in Deutschland, und ermutigen RassistInnen und „Antideutsche“ Hassverbrechen zu begehen. Das Statement ist außerdem antidemokratisch, verschleiert es doch mit der vagen Formulierung von „Gewalt“ in Universitätsgebäuden den Umstand, dass Gewalt in Berlin von den eingesetzten Polizeibeamten ausgeübt wurde, die den Protest der Studierenden mit Zwang auflösten. Dass hier also aufrichtig aus Sorge um die Sicherheit der Studierenden gesprochen wird, ist unglaubwürdig.
Auch die Behauptung, dass der Boykott israelischer Forschungseinrichtungen aus antisemitischen Motiven erfolgt, und nicht als politischer Protest gegen deren Beteiligung an den Kriegshandlungen Israels, wird nirgends belegt. So zieht sich durch die Antisemitismusauffassung des Statements eine unausgesprochene Gleichsetzung von Juden mit Israel, bzw. mit Israels Regierungspolitik. Eine solche Gleichsetzung ist, wie in der international anerkannten Jerusalem Declaration On Antisemitism herausgearbeitet wurde, selbst antisemitisch.
Es bleibt nur noch als rhetorische, aber dennoch zentrale Frage: warum verliert das Statement kein Wort über den zunehmenden antimuslimischen Rassismus seit dem 7. Oktober in Deutschland, die Hetze und Entmenschlichung gegenüber PalästinenserInnen in Deutschland, ganz zu schweigen von dem Grauen des Krieges in Gaza?
Worum geht es den Profs gegen Antisemitismus also eigentlich? Es geht um die Diffamierung der studentischen Proteste an den Universitäten, die legitim, notwendig und humanistisch sind. Es geht darum, eine Stimmung der Einschüchterung gegen wissenschaftlichen ArbeiterInnen an den Unis zu schaffen, sich ja nicht mit den Protesten und ihren Anliegen zu beschäftigen oder gar zu solidarisieren. Es geht um die Spaltung der Studierenden und Universitätsangehörigen und das Schüren von Ängsten unter jüdischen Universitätsangehörigen vor den Protesten und gleichzeitig das Unsichtbar machen, das Silencing der jüdischen Stimmen, die sich lautstark gegen den Genozid an deutschen Universitäten und international einsetzen. Und nicht zuletzt geht es ganz konkret um die Flankierung von Gesetzesverschärfungen wie sie jüngst von der Bundestagsfraktion erarbeiteten Bundestagsresolution „Nie wieder ist jetzt“ bereits vorbereitet werden. Deren Verabschiedung bedeutet politisch die Forderung nach einer weitreichenden wissenschaftlichen und künstlerischen Gesinnungsprüfung, einer „Kuratel“ durch den Verfassungsschutz und auf Grundlage der international umstrittenen IHRA-Antisemitismusdefinition.
Fazit
Ein bisschen mehr politische Bewusstheit ist von denjenigen zu erwarten, die sich kritischen und linken Forschungstraditionen verpflichtet fühlen. Es gibt bessere Wege sich gegen Antisemitismus einzusetzen, als sich mit Schröter, Goldstein-Wolf, Liebig & Co. gemein zu machen. Wir vermuten, dass eine Reihe von Profs und Dozierenden ein solches Statement ohne Überprüfung dessen Zustandekommens unterschrieben haben. Möchte man sich in das Fahrwasser neurechter, ultrazionistischer Kriegspropaganda begeben? Will man revisionistischen Akteuren die Möglichkeit einer „antifaschistischen“ Rehabilitierung im Namen des Kampfes gegen Antisemitismus mit einer gemeinsamen Unterzeichnerschaft gewähren?