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29. November 2024

Netzwerk Wissenschaftsfreiheit

Freiheit der oder frei von Wissenschaft?

Wissenschaftsfreiheit. Das hört sich gut an, aufgeklärt, kritisch, eben frei. Das dachten sich die Gründerinnen und Gründer des Netzwerk Wissenschaftsfreiheit wohl auch, als sie im Frühjahr 2021 mit 70 Hochschuldozierenden das Netzwerk der Öffentlichkeit vorstellten. Unter den Gründungsmitgliedern waren neben Initiatorin und Migrationsforscherin Sandra Kostner auch die Frankfurter Ethnologieprofessorin Susanne Schröter und der Berliner Inhaber der Professur Geschichte Osteuropas Jörg Baberowski.

Aber Moment. Ist die Wissenschaft denn nicht frei? Wird Forschung behindert und eingeschränkt? Und wenn ja: von wem? Das Netzwerk erklärte hierzu in ihrer Pressemitteilung: »Cancel Culture und Political Correctness haben die freie und kontroverse Debatte auch von Außenseiterpositionen vielerorts an den Universitäten zum Verschwinden gebracht« [i].

Es stimmt: die seit den Bologna-Reformen massiv vorangetriebene »Neoliberalisierung« und Modularisierung der Hochschulen gingen mit einer Zunahme an privat finanzierten Lehrstellen und Forschungsprojekten einher. Zunehmend müssen Universitäten um Gelder von privaten Stiftungen, Institutionen und Unternehmen buhlen. Dass so nicht mehr von unabhängiger Wissenschaft gesprochen werden kann ist augenscheinlich. Wobei gerade die Frankfurter Uni bereits seit ihrer Gründung bis ins Jahr 1953 eine Stiftungsuniversität war und seit 2008 auch wieder ist. Nichts Neues also. Aber auch die Finanzierung von Wissenschaft aus Töpfen des Bundes, der EU und der Aufbau von »Elite-Universitäten«, zum Beispiel im Rahmen der Exzellenzcluster-Initiative, erfolgt schließlich auch nach politischen Kriterien. Das muss gar nicht direkte Zensur beinhalten, sondern einfach die Frage: welches Projekt bekommt die Förderung und wer ergattert den begehrten Lehrstuhl? Denn wo kein Geld ist, ist auch keine Forschung. Zurecht wurde im nd von Jakob Hayner bemerkt: »Es ist so sehr Leitbild wie Allgemeinplatz, dass Hochschulen, zunehmend wie Unternehmen geführt werden.«[ii] Und so ein Unternehmen braucht natürlich auch Forscher, die wie Manager funktionieren oder geschickte Makler, die sich auf dem Wissenschaftsmarkt anpreisen. Wissenschaft, die also »frei« im luftleeren Raum existiert gibt es nicht.

Gerade eine solche angeblich existierende Wissenschaftsfreiheit müssen die Gründer des Netzwerks aber erfinden, damit sie sich dann zu deren Rettern aufspielen können. Und wer bedroht die freie Wissenschaft? Nicht etwa Finanzierungszwänge oder politische Vorgaben der Geldgeber, sondern die sogenannte »Linke Cancel Culture«.

Es scheint, dass das hier formulierte Verständnis von Freiheit der Wissenschaft eher die Abwesenheit von Kritik meint. Moralische und ethische Bedenken, die die Wissenschaft leiten können, sollen eliminiert werden, wenn sie die eigene Forschung betreffen.

So ist es kein Zufall, dass die wenigen Fallbeispiele, auf die das Netzwerk ihren dramatischen Appell aufbaut, fast ausschließlich Störaktionen Studierender gegen rechte Professoren und Politiker an Universitäten waren (Bernd Lucke in Hamburg, Thilo Sarrazin in Siegen, Fall Martin Wagener). Auch Susanne Schröter fühlte sich bereits in der Vergangenheit »gecancelt«, weil es eine Handvoll Studierender gewagt hatte vor ihrer »Kopftuchkonferenz« Protestschilder mit Sprüchen wie »My body, my choice« hochzuhalten. Die gleichen Studierenden wurden von den Konferenzteilnehmern beschimpft, angetatscht und später in den Medien als »islamistische Identitäre« verunglimpft.[iii]

Die Ironie, dass die Form der Studierendenproteste überhaupt notwendig war, weil sie eben aus einer marginalisierten Position heraus nicht selbst sprechen können und deswegen vor den Türen der Konferenz ihren Unmut äußern mussten, fällt nicht auf. Ebenso dass die »gecancelten« Personen im Anschluss mit medialer Aufmerksamkeit überschüttet wurden, ja die Vorfälle sogar politisch nutzen konnten, während die Kritiker gleichzeitig diskreditiert und verleumdet ins Diskursabseits verfrachtet wurden. Sowohl Prof. Schröter, als auch der Berliner Prof. Baberowski vertraten höchst politische und rassistisch-hetzerische Thesen, die ihnen Sympathien aus dem Lager der AfD einbrachten und die im Fall Baberowski sogar gerichtlich bestätigt wurden.[iv] Dass die Inhaber von Lehrstühlen an deutschen Unis und Talkshow-Dauergäste sich tatsächlich als Opfer von Meinungsunterdrückung stilisieren lassen, um noch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, ist leicht zu durchschauen.

Auch brisant: Versuche, die Meinungsfreiheit der Studierendenschaft einzuschränken, werden vom Netzwerk nicht angeprangert. So hatte auf Anzeige der Frankfurter Universitätsleitung das Frankfurter Verwaltungsgericht Anfang 2021 dem AStA der Universität Frankfurt untersagt, sich allgemein politisch zu äußern. Dies geschah also zur gleichen Zeit als sich das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit zum ersten Mal als Verteidigerin der Meinungsfreiheit in der Öffentlichkeit aufspielte.[v] Doch ihnen geht es wohl nur darum, die Stimmen derjenigen zu amplifizieren, die schon ganz oben in der Wissenschaftshierarchie stehen.

Worum geht es hier also eigentlich?

Nicht alle im Netzwerk sind Rechte, das Netzwerk wirkt eher wie eine gut-bürgerliche Mischung aus vorrangig offen neurechten, konservativen und liberalen Kräften. Einig sind sie sich in ihrer Beschwörung eines angeblich herrschenden linken Zeitgeistes. Auch dieses Narrativ ist uns aus der neuen Rechten und dem Neokonservativismus lange bekannt (siehe dazu unsere Artikel zur Neuen Rechten).

Der Trick den anderen vorzuwerfen ist ein Versuch der a) Verschleierung ihrer politisch motivierten Instrumentalisierung von Wissenschaft (Baberowski, Schröter), b) Immunisierung vor und Diskreditierung von Kritik und c) Verschiebung des Diskurses nach rechts durch Verteidigung von Neurechten wie Prof. Salger (Jura Uni Frankfurt), die offen demokratiefeindliche und menschenverachtende Positionen vertritt.[vi] Es wird hier also der »(...)Versuch unternommen, Forschung und Lehre weltanschaulich zu normieren und politisch zu instrumentalisieren«, wie das Netzwerk es selbst so schön in ihrem Gründungsmanifest schreibt.[vii]

Es geht auch darum ihre Vorstellung von »Freiheit« durchzusetzen, nämlich des politischen Liberalismus. Hierfür spricht der wohl nicht unmaßgebliche Einfluss des John Stuart Mill Instituts aus Frankfurt auf das Netzwerk.

Mittlerweile wurde auch eine »Studenten«-Initiative gegründet, in dessen Vorstand ein strammer CDUler mit Doktortitel sitzt, der sich damit brüstet Reservist zu sein. Naja, so ganz unabhängig und frei scheint es hier auch nicht zu zugehen.

Wissenschaft ist immer gesellschaftlich und politisch eingebettet, wie auch die Wissenschaftler politisch geprägt und positioniert sind. Hierin liegt nicht das Problem an sich, sondern in Unwissenschaftlichkeit und Wissenschaft, die dazu genutzt wird Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse zu stützen. Die Unfreiheit der Lehre anzugreifen, heißt Kapitalisierung der Universitäten zu benennen und dem (neoliberalen) Umbau der Uni entgegenzutreten. Konformitätsdruck entsteht nicht durch studentische Proteste, sondern vor allem durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie selbst die Konrad-Adenauer-Stiftung befinden musste.[viii]

Der Mythos einer politisch unbefleckten Wissenschaft wird von denen hochgehalten, die selbst hochgradig politisch involviert sind und oft ihre Forschung gerade in den Geisteswissenschaften für politische Zwecke instrumentalisieren, bzw. ihrer politischen Agenda ein wissenschaftliches Mäntelchen umhängen.

In diesem Sinne: Für die politische Universität und die schärfste Kritik der Unwissenschaftlichkeit und Menschenverachtung durch das rassistische »Netzwerk Wissenschaftsfreiheit«.

QUELLEN: [i] https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/presse/pressemitteilungen/ [ii] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1148234.rede-und-wissenschaftsfreiheit-ernst-zu-nehmender-popanz.html [iii] https://www.deutschlandfunk.de/universitaet-frankfurt-kopftuch-konferenz-findet-trotz-100.html [iv] https://www.wsws.org/de/articles/2017/06/02/babe-j02.html [v] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article227069937/Hochschulpolitik-Merkwuerdiges-Urteil-was-darf-der-AStA-denn-noch-sagen.html [vi] https://www.facebook.com/astafrankfurt/photos/a.574796032560429/4790072904366033/?type=3 [vii] https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/ueber-uns/manifest/ [viii] https://www.fzs.de/2021/03/08/fzs-kritisiert-das-netzwerk-fuer-wissenschaftsfreiheit/