16. Februar 2024
Der Westen in Anmaßung und Hass gegenüber dem Islam
Kopftuchkonferenz 2021
Seit einiger Zeit flammen hierzulande wieder Debatten über das Kopftuch auf. Vor allem in Bezug auf aktuelle Ereignisse, wie den Protesten in Deutschland unter dem Motto Jin, Jiyan, Azadî (Frau, Leben, Freiheit) in vermeintlicher »Solidarität« mit den »unterdrückten Kopftuch-tragenden Frauen« im Iran. Es scheint in Deutschland wieder öffentlicher Konsens, dass die religiöse Bedeckung einzig und allein ein Zeichen »totalitärer patriarchaler« Herrschaft ist.
In dem durch unsere gesellschaftliche (europäische) Werteordnung definierten Diskurs haben Muslim*innen meist keinen Platz und nicht nur die AfD und andere extreme Rechte profitieren von diesem gesellschaftlichen Machtverhältnis. Auch einige andere Akteure der Öffentlichkeit, die sich oft auch als aufgeklärt oder links definieren, reden von Säkularismus als festem Bestandteil ihrer westlichen Moderne.
Letztendlich produzieren sie durch ihre Fremdzuschreibungen eine Rassifizierung, welche – aufgrund der von ihnen getätigten Zuschreibungen auf kultureller und religiöser Ebene – einen homogenisierten und dichotomisierten (keine Schnittemenge mit »uns«) »Phänotyp der Muslima« hervorbringt. Diese Essenzialisierung ihrer Kultur (und Religion) betrifft demnach nicht nur aktiv praktizierende Musliminnen und Muslime, sondern formiert sich zu einem Gesamtbild von anti-muslimischem Rassismus gegen diejenigen »die als solche« wahrgenommen werden. Als Beispiel für diesen angewandten Rassismus, der sich aus solchen falschen Bildern entwickelt, kann der Ausschluss muslimischer Frauen mit Kopftuch aus dem Berliner öffentlichen Dienst gelten, welcher sich auf das »Neutralitätsgesetz« des Staates beruft. Für uns ist klar, dass dieser Konsens den Versuch darstellt, sich aus dem akademisch-politischen Milieu heraus zu rechtfertigen und beginnt so nicht selten in den wissenschaftlichen Thinktanks (z.B. dem FFGI) unseres Staates.
An der Goethe Universität fand am 8. Mai. 2019 die erste Kopftuch Konferenz des FFGI (siehe S. 10) unter der Fragestellung statt, ob die Hijab »ein religiöses Symbol der Würde der Frau oder Zeichen ihrer Unterdrückung« sei. Damals wie heute wird versucht, dieser Debatte einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen.
Für die erste Konferenz diente als Anlass, die als kontrovers empfundene Ausstellung im Frankfurter Museum für angewandte Kunst, in der Modeentwürfe aus der islamischen Welt (Contemporary Muslim Fashion) gezeigt wurden. Die Konferenz erhielt ein unverhältnismäßig großes Medienecho und breite Unterstützung, darunter vom AStA Frankfurt, wobei uns die schon fast obsessive wirkende Auseinandersetzung mit der Ausstellung auffiel.
Susanne Schröter welche als Hochschulprofessorin für Ethnologie das Forschungszentrum Globaler Islam an der Goethe Universität leitet, setzte sich als Ziel dieser Konferenz eine »intellektuelle, auch kritische Erörterung der modischen Statements beizusteuern« (Spiegel online, 08.05.19). Auf dem »Diskussions«-Podium der ersten Konferenz ließ die einseitige Besetzung und Moderation nicht viel Raum für nicht-diskriminierende Einwände gegenüber oder von Hijab-tragenden Musliminnen selbst.
Angesichts des anti-islamischen politischen Diskurses zu der Zeit als auch momentan, ist es für uns und andere unverständlich warum eine Ausstellung, die muslimische Mode darstellen wollte, von einem solchen Podium behandelt wurde. Auch ist es verwunderlich warum in Zeiten von rechtem Terror und rechtsextremen Vorfällen in Polizei und Justiz und antimuslimisch motivierten, rassistischen Attentaten wie in Hanau, prominente Personen über die Hijab diskutieren müssen.
Zu den eingeladenen Gästen der ersten Konferenz zählte zum Beispiel Alice Schwarzer, welche ganz locker rassistische Slogans wie »wir müssen den Einwanderern Respekt vor Frauen beibringen« raushaut und immer wieder probiert, die Öffentlichkeit von ihrer islamophoben Weltansicht zu überzeugen. Der »politische Islam« stellt für Schröter und Schwarzer eine Bedrohung unserer demokratischen, freiheitlichen, westlichen Werte dar. Dieser Logik folgend betitelt Schwarzer ihn als Faschismus des 21. Jahrhunderts und verweist hierbei auf den angeblichen Zusammenhang zwischen totalitärer Herrschaft und islamischem Fundamentalismus, welchen sie repräsentativ im Iran seit 1979, in der Türkei oder Saudi Arabien zu sehen meint.
Susanne Schröter, welche Teil des Exzellenz Clusters Normative Orders war, warnte in diesem Kontext vor falschen Hoffnungen für ein zukünftig säkulares Regime in Teheran, denn »zu viele Männer leben im Dienste des islamistischen Staatsapparats und profitieren von der völligen Kontrolle der Wirtschaft des reichen Landes«.
Komisch nur, dass in den von ihr so progressiv, feministisch bewerteten westlichen Ländern, beispielsweise den USA, universitäre Bildung für viele Frauen unbezahlbar ist – im Iran hingegen umsonst; bezahlter Schwangerschaftsurlaub nicht existiert – im Iran sind es sechs Monate; Sozialversicherungen in Amerika die Ausnahme – im Iran selbstverständlich sind. Das Renten-Eintrittsalter von Frauen in den USA im Schnitt bei 67,5 Jahren – im Iran bei 55 Jahren liegt. So betrug der Frauenanteil an naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächern an den Universitäten 2015 im Iran 65% während ein Physik- Studium in Deutschland nur von ca 30% der Studienanfängerinnen begonnen wird – ganz zu schweigen von dem massiv überwiegenden Frauen-Anteil im Iran auf dem Arbeitsmarkt.
Dieser kurze Exkurs zeigt vielleicht den unwissenschaftlichen Rahmen in dem hier das Kopftuch im Namen von westlichen Interessen instrumentalisiert wird, um uns die liberale Gesellschaft schmackhaft zu machen. Schon lange geht es in diesen Debatten nicht mehr um die subjektive Frage, welche Motivation eine Frau antreibt sich zu bedecken.
Auf dem Podium der ersten Konferenz fanden sich prominente Gesichter wie das der Veranstalterin Necla Kelek, Vorstandsmitglied der Terre des Femmes Städtegruppe Rhein-Main (Der deutsche Verband hat sich 2018 von der Schweizer Sektion u. a. wegen der Haltung zu einem Kopftuchverbot getrennt, welcher unter anderem ein Verbot der Vollverschleierung und des »Kinderkopftuchs« unter dem Motto den »Kopf freihaben« fordert).
Sie sagt über das Kopftuch: »Denn die islamische Verschleierung ist weder exotisch, noch ein Mode-Accessoire oder nur ein Stück Stoff. Sie ist eine Brandmarkung. Sie unterwirft Frauen und Mädchen dem Stigma, einen sündigen Körper zu besitzen und teilt sie in ehrbar und unzüchtig ein. Sie ist der erste Schritt zur Geschlechter-Apartheid.« Zur AfD sagt sie weiter: »Wie kommt es, dass die Aufklärung von der Linken in den letzten Jahren derart verraten wurde – und zwar nicht nur hierzulande, wo sie nun durch den politischen Islam ebenso bedroht wird wie durch die darauf reagierende AfD?« Auch diese Forderung unterstützt beispielsweise den AfD Antrag auf ein Verbot der Burka hierzulande.
Auch Frau Khola Maryam Hübsch, welche als gemäßigter in ihren Aussagen gilt und auf die westliche und koloniale Kontinuität hinter der Stigmatisierung des Kopftuches hinwies, sowie Sozialminister Kai Klose (Grüne) wurden zur ersten Veranstaltung eingeladen.
Auf dem Podium saßen außerdem Referent*innen wie Ingrid Körner (Schulleiterin und Autorin des Buches: Schule vor dem Kollaps: Eine Schulleiterin über Integration, die Schattenseiten der Migration…), welche prompt über verschleierte Mütter, die über ihr Schulgelände gelaufen seien und so die Kinder verschreckt hätten, ins Schwafeln kam.
Herr Uwe Paulsen, der Stadtverordnete der Grünen-Fraktion der Stadt Frankfurt und Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Frauen, äußerte sich bereits im Vorfeld der Veranstaltung dazu, dass das Kopftuch lediglich ein Instrument der Unterdrückung und eine »Zwangskleidung« sei. Des weiteren war Fatma Keser die AStA-Referentin für politische Bildung und Feminismus an der Goethe Uni anzutreffen. Sie kritisierte die Auswahl der Referenten ausgerechnet dahingehend, dass auch eine kopftuchtragende Referentin geladen war. Sie hatte schon in einem Artikel in der Welt erklärt, dass der Islam nur eine »verdammte Ideologie« sei.
Auch auf dem Podium: Naila Chikhi. Sie präsentierte sich in der tiefen Überzeugung, dass das Kopftuch und Feminismus nicht kompatibel seien und das Kopftuch das Patriarchat symbolisiere. Dieses macht sie ohnehin als »Fahne des politischen Islamismus« aus und erdreistete sich gleich zu Beginn der Konferenz das Tragen des Kopftuches mit Apartheid gleichzusetzen.
Wir denken es wird klar, dass alle Referenten sich ziemlich einig in ihrer anti-islamischen Haltung sind. Sie tarnen sie teilweise hinter sogenannter »Religionskritik« oder »Kopftuchkritik«, in ihren Beiträgen wird dann aber immer schnell klar, dass es um den Islam als Ganzes und Muslime generell geht.
Nach der ersten Kopftuch Konferenz 2019, organisierte die FFGI erneut eine Veranstaltung zu dem Thema, welche wir mit verschiedenen Aktionen problematisierten. Außerdem machten wir uns selbst Vorort ein Bild, um unter anderem die einseitige Besetzung des Podiums zu kritisieren. Man muss dazu aber auch sagen, dass es solche Veranstaltungen mit dem gleichen inhaltlichen Tenor ständig gibt.
Parallel zu dem »Verschleierungspodium« fand zudem eine Veranstaltung mit dem Titel Muslimisch, männlich, desintegriert von Normative Orders statt. Die von Social Media aus koordinierten Kampagnen der studentischen Initiativen, welche auf den antimuslimischen Rassismus hinwiesen und unter anderem die Entlassung Susanne Schröters von dieser Forschungsstelle forderten, fanden kein wirkliches Gehör, wurden von den bürgerlichen Medien aber sofort als pro-islamische identitäre Hetzkampagne diffamiert und als »Demokratie gefährdend« betitelt. Unsere Plakate mit den Zahlen der Angriffe auf Muslima und Moscheen allein in dem Jahr, wurden als Angriff auf die Meinungsfreiheit gewertet. Die Möglichkeit einer Teilhabe an solchen Diskussionen wurde uns und anderen Initiativen gleichzeitig strukturell absichtlich verwehrt, auch wenn es im Nachhinein immer heißt, es habe ja die Möglichkeit gegeben, wenn doch mal kurzzeitig Aufmerksamkeit durch meist intensive Kämpfe auf das Thema gelenkt wird.
Es ging uns nicht darum, ob sich die Referenten individuell als Rassisten empfinden oder nicht. Ob bewusst oder nicht, sie leisten einen Beitrag dazu rassistische Ressentiments zu legitimieren. Ja sogar um diese mit einem frauenrechtlerischen oder freiheitlichen Antlitz zu normalisieren und aus der AfD-Ecke heraus zu holen. Das macht sie so gefährlich (vor allem auch der AStA spielt hier eine unrühmliche Rolle). Mit den Schlagworten »Freiheit« und »Frauenrecht« ein Verbot von Kopftüchern zu fordern, ist schon für sich sehr ironisch, da hier gerade muslimischen Frauen ihre Freiheit abgesprochen wird, sich für ein Kopftuch zu entscheiden. Außerdem fördert diese Debatte nur ihre Ausgrenzung und die schon bestehende Stigmatisierung. Es kam zudem zu einem handgreiflichen Übergriff auf eine Muslimin, die daran gehindert werden sollte, das Ganze zu filmen.
So sehen wir zunehmend keinen Grund uns an einer Kopftuch-Debatte zu beteiligen – viel mehr gilt es, solche Debatten als Scheindebatten, die auf dem Rücken muslimischer Frauen ausgetragen werden, zu entlarven. Viele Opfer von (antimuslimischem) Rassismus trauen sich nicht mehr an die Öffentlichkeit und auch wir erfuhren an der Goethe Universität sogar tätliche Angriffe zum Beispiel auf unseren Palästina-Infostand. Braucht es daher nicht viel eher einen Diskurs über antimuslimischen Rassismus und das stärker werden faschistischer und rechter Organisationen? Wir hoffen jedenfalls, dass sich in Zukunft eher die Frage in den Medien gestellt wird, warum eine Veranstaltung, die Rassismus fördert, von der Meinungsfreiheit gedeckt sein soll, der kritische Protest dagegen aber nicht. Wir fordern einander auf, solidarisch und gemeinsam gegen solche Angriffe auf die persönliche Freiheit von Musliminnen und migrantisierten Personen vorzugehen und diese Angriffe ernst- und nicht hin- zunehmen!