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23. Februar 2024

Blendgranaten auf die Uni

Das neurechte Projekt „GegenUni“ stellt sich gegen die „linke Diskurshegemonie“ an der Uni

von Erwin Holz

Kürzlich hörte man den Gründer der GegenUni (fortan GU) Erik Ahrens im Podcast des neurechten Netzwerkes „Ein Prozent“, das eng mit dem Antaios-Verlag und Martin Sellners Blog „Sezession“ verbunden ist, darüber phantasieren, wie der akademische Mainstream „links dominiert“ sei. Weiterhin heißt es im Telegram- Kanal der GU unter dem Titel „FEUER AUF DIE UNI“: „Die Uni ist Zwingburg des antideutschen ideologischen Staatsapparats geworden. Sie ist geistig tot.“

Zudem schreibt Martin Sellner in seinem Blog „Sezession“, dass es das „langfristige und ambitionierte Ziel des Projekts die Organisation und Vernetzung der eingetragenen Studenten [sei], um eine rechte Handlungsfähigkeit an den Hochschulen zu erreichen.“ An anderen Stellen in dieser Zeitung wird näher darauf eingegangen, wie die GU mit den verschiedensten „Theoretikern“ der neuen Rechten gegen die vermeintlich „linke und linksliberale“ Uni vorgehen möchte. An dieser Stelle soll vielmehr der Vorwurf, deutsche Universitäten seien „links dominiert“, betrachtet werden. So lässt sich die These der GU, die Uni sei eine linke Institution, vor allem von zwei Seiten her offensichtlich widerlegen: einerseits mittels Betrachtung der materiellen Situation, in der sich die Uni befindet, andererseits mittels Betrachtung ihrer Lehre selbst.

Die Neoliberalisierung der Hochschule

Das deutsche Bildungssystem, wie auch etwa das Gesundheits- oder Sozialsystem, ist spätestens seit den Achtzigern von einer durch und durch neoliberalen Wirtschaftspolitik geprägt, die sich vor allem durch Privatisierungen, Kürzungen von Sozialleistungen sowie blinder Orientierung auf den Markt im Interesse der Profitsteigerung der deutschen Banken und Großkonzerne auszeichnet.

So hat beispielsweise die bayrische Staatsregierung Ende 2020 eine neue Hochschulreform vorgelegt, die Privatisierungen durch Drittmittelfinanzierungen von Hochschulen aktiv fördern soll, eklatante Kürzungen von staatlichen Geldern selbstverständlich inklusive. Das bayrische Pilotprojekt, Hochschulen endlich vollkommen in die Hände privater Großkonzerne zu legen, ist dabei der bisherige Höhepunkt einer seit Jahrzehnten anhaltenden Offensive, das gesamte Bildungssystem auf den neoliberalen Markt auszurichten.

Geprägt haben diese Offensive neben den relevanten Akteuren aus Politik und Wirtschaft Lobbyorganisationen wie die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ oder die private „Bertelsmann Stiftung“, die das erklärte Ziel, Bildung und Wissenschaft durchzuökonomisieren und arbeitsfähiges „Humankapital“ heranzuzüchten, erbarmungslos voranpeitschen.

Und dann ist da natürlich noch die Bologna-Reform, die uns unter anderem das Bachelor- Master-System gebracht hat und durch die die schleichende Privatisierung der Hochschulen mittels erheblichem Anstieg der Drittmittelfinanzierung durch Konzerne erst richtig Fahrt aufnahm. Dieser sehr verkürzte Ausschnitt der unsäglichen Neoliberalisierung des Bildungswesens soll an dieser Stelle als Begründung genügen, um einige der unzähligen Missstände an deutschen Hochschulen aufzuzählen: So hat das Bachelor-Master-System vor allem Leistungsdruck, Anwesenheitspflicht, Modularisierung, Credit-Points und selektive, auf den Arbeitsmarkt ausgerichtete Lehre gebracht.

Forschungsprojekte werden immer weniger nach wissenschaftlicher Relevanz vergeben, dafür umso mehr im Interesse privater Konzerne (oder sogar der Bundeswehr), die diese finanzieren und steuern. Lehr- und Lerninhalte sind nicht nur teuer und müssen häufig privat angeschafft werden, sondern werden auch noch von privaten Stiftungen und Lobbyvereinen vorgegeben. Nach unabhängigem, selbstbestimmtem Studieren sucht man Zeit seines Studiums vergebens. Und nicht zu vergessen ist natürlich die fortlaufende Prekarisierung des gesamten Lebens, die den meisten ein Studium ohne Nebenjob etwa aufgrund explodierender Miet- und Lebenshaltungskosten unmöglich macht oder die die größer werdenden ärmeren Schichten gänzlich vom Hochschulbetrieb ausschließt. Auf diese realen Missstände liefert die GU keinerlei Antworten, sie wirft nicht einmal Teile davon als Problem auf. Das Konzept einer „linken Uni“ kann zumindest aus den materiellen Umständen nicht rekonstruiert werden, ist sie durch und durch Bestandteil der kapitalistischen Ordnung.

Die „linke Diskurshegemonie“

Wie oben gezeigt, geht die GU, wie bei der Neurechten üblich, kaum bis gar nicht auf die materielle Lage einer Sache ein, sondern stürzt sich vielmehr auf vermeintliche „linke Diskurshegemonien“. Dazu ein paar (unvollständige) Anmerkungen: Eine dezidierte Kritik am Vorwurf einer „links dominierten Lehre“ an den Unis seitens der GU kann hier gar nicht so einfach getroffen werden. Dafür müsste ersichtlich sein, was eben jene „linke“ Lehre aus Sicht der neurechten Pseudo-Akademiker eigentlich sein soll. Es kann wohl kaum eine marxistisch(-leninistische) Lehre sein, denn diese ist an der Uni verpönt und wird in Seminaren oder Vorlesungen von Lehrseite aus zerrissen. Sicherlich gibt es etwa in der Soziologie die semesterlichen Marx-Lesekreise, doch finden diese innerhalb einer akademischen Blase statt, ohne dabei die materielle Basis der Gesellschaft auch nur zu tangieren.

Marx ohne Adorno, Nietzsche oder Freud (oder gar mit Lenin) ist an der Uni kaum denkbar. Und nicht einmal die Neurechte kann die These, Marx sei Staatsdoktrin, auch nur ansatzweise begründen, ohne sich der populistischen Lächerlichkeit preiszugeben. Moderne, im weitesten Sinne linke Theorien, wie der Postkolonialismus oder feministische Ansätze, haben sicherlich zumindest in den Geisteswissenschaften Einzug erhalten, doch sind sie von allen politischen Lagern aus umstritten und keinesfalls einheitliche Doktrin. Und dass nun im Bundestag „gegendert“ wird, kann wohl kaum als Argument dafür genügen, dass an der Uni ein linker, ideologischer Staatsapparat gezüchtet wird.

Somit kann man also nur zu dem Schluss kommen, dass jene „Diskurse“ gemeint sein müssen, die tatsächlich theoretisch wie praktisch den Staatsapparat dominieren. So zum Beispiel Carl Schmitt, der immer noch zum festen Kanon der Wirtschafts-, Rechts- oder Geschichtswissenschaft gehört. Dass dieser nun aber stramm rechts war, scheint der GU bekannt zu sein, schließlich steht in der Ankündigung ihres eigenen Schmitt-Lesekreises, dass dieser „ein Muss für jeden angehenden rechten Denker, Aktivisten oder Politiker“ sei. Wie man mit Carl Schmitt die von Carl Schmitt dominierte „Diskurshegemonie“ der Uni brechen will, bleibt an dieser Stelle unklar.

Klar ist nur, dass das Projekt der Gegenuni eine weitere Blendgranate ist, die mit populistischer Phrasendrescherei Leute für die Neurechte mobilisieren will. Das macht sie theoretisch – aufgrund ihrer Inhaltsleere – zwar belächelbar, praktisch – aufgrund ihrer Verstrickung in die aktive, organisierte Neurechte – umso gefährlicher.